6. Newsletter: "Gebt ihr ihnen zu essen!" - Was uns die biblische Erzählung von der Brotvermehrung lehrt

Wie viel wäre wohl übrig geblieben, wenn die Jünger fünfhundert Brote und zweihundert Fische zur Verfügung gehabt hätten? Wahrscheinlich nichts, und es hätte auch nicht für alle gereicht. Warum nicht? Weil die Jünger, ausgestattet mit fünfhundert Broten und zweihundert Fischen vermutlich gar nicht zu Jesus gegangen wären, sondern ihre Mittel auf eigene Faust verteilt hätten. Das ist ein Problem unserer reichen, professionalisierten Kirchen. „Wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt“, ist ein einfaches Prinzip, das nur dann dem Evangelium entspricht, wenn wir das, was wir haben, zuerst Jesus zur Verfügung stellen. Nur wenn Er das Unsrige segnet und wandelt, werden alle satt ...


Liebe Weide-Freunde,

es ist wieder einmal Zeit für einen Zwischenbericht.

 

Weide-Räume: „Der Herr wird dir ein Haus bauen“

Zunächst: Wo steht die Weide? Nachdem wir uns im Herbst intensiv um Weide-Räume bemüht hatten, ist hier inzwischen Ruhe eingekehrt. Weder Bischof noch Pfarre noch Klöster hatten Räume für uns, und auch zum Anmieten fanden wir nicht etwas wirklich Geeignetes. Überaus großzügig war das Angebot des Leiters des Altenheims St. Joseph: Wir könnten täglich die große Kapelle verwenden. Aber gerade hier zeigte sich, dass wir auf die geborgene Atmosphäre von geeignet eingerichteten Räumlichkeiten wie in unserer Wohnung nicht verzichten sollten. Dazu kamen Gebetseindrücke. Der wichtigste war eine Bibelstelle, die ich letzten November aufgeschlagen hatte: „Der Herr aber wird dir ein Haus bauen“ (1 Chr 17,10; vgl. 2 Sam 7,11). Wir sollten also nicht selber planen; Gott wird zu geeigneter Zeit dafür sorgen. Unsere Wohnung wurde weitgehend – außer dem Wochenende – zur Weide-Wohnung, wo immer wieder Menschen nach der Abendweide länger bleiben und manchmal sogar übernachten – auf Decken am Boden, von Abendgebet in den Schlaf und vom Schlaf in das Morgengebet. Zum eigenen Schlafen haben Hanna und ich einen Raum außerhalb der Wohnung. Das klingt vielleicht extrem, ist aber völlig problemlos für uns. Da die Weide gut besucht wird, war es schon öfters ziemlich eng. Aber hatte nicht auch Jesus ziemlich wenig Platz in den Häusern, in denen er wirkte?

„Jesus ging in ein Haus, und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass er und die Jünger nicht einmal mehr essen konnten. Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen.“ (Mk 3,20-21)

Warum soll es den Jüngern besser gehen als dem Herrn? (vgl. Mt 10,23f) Noch in einer anderen Hinsicht gewann ich den Eindruck, dass Gottes Raumvorstellungen andere sind als unsere: Ich begann zu begreifen, dass Er zuerst die Räume unserer Herzen bereiten wollte. Das war dann auch das große Thema der folgenden Monate: Reinigung. Es fing an mit dem Leitthema für die Lehrabende: „Geh in Seine Kraft“. Das hat mit der Erfahrung eigener Schwäche und eigenen Versagens zu tun, aber auch mit einem Loslassen von eigener Kraft und eigenem Leisten, welches allzu oft in Gefahr ist, auf andere gewalttätig zu wirken. Nach zwei Monaten einer inneren Krise, in der ich mir in meinem akademischen Arbeiten entmutigt und ungenügend vorkam, fand ich zu einer gereinigten Kraft zurück: frei von Stolz, Einbildung, Angeberei und einem Vorzeigen eigener Vitalität, das geeignet ist, andere Menschen zu entmutigen.

 

„Gebt ihr ihnen zu essen“: Armut und Überforderung der Jünger

Am Ende meiner Krisenzeit empfing ich eine Lehre anhand der biblischen Geschichte von der Brotvermehrung:

„Als Jesus all das hörte, fuhr er mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein. Aber die Leute in den Städten hörten davon und gingen ihm zu Fuß nach. 14 Als er ausstieg und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen und heilte die Kranken, die bei ihnen waren. 15 Als es Abend wurde, kamen die Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist abgelegen, und es ist schon spät geworden. Schick doch die Menschen weg, damit sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen können. 16 Jesus antwortete: Sie brauchen nicht wegzugehen. Gebt ihr ihnen zu essen! 17 Sie sagten zu ihm: Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische bei uns. 18 Darauf antwortete er: Bringt sie her! 19 Dann ordnete er an, die Leute sollten sich ins Gras setzen. Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf, sprach den Lobpreis, brach die Brote und gab sie den Jüngern; die Jünger aber gaben sie den Leuten, 20 und alle aßen und wurden satt. Als die Jünger die übriggebliebenen Brotstücke einsammelten, wurden zwölf Körbe voll. 21 Es waren etwa fünftausend Männer, die an dem Mahl teilnahmen, dazu noch Frauen und Kinder.“ (Mt 14,13-21)

„Gebt ihr ihnen zu essen!“ – Die Jünger waren konfrontiert mit ihrem eigenen Ungenügen. Alles, was sie hatten, waren fünf Brote und zwei Fische. Angesichts des Hungers von fünftausend Männern, dazu noch von Frauen und Kindern war das, worüber sie selber verfügten, lächerlich wenig. So war es mir mit meinen begrenzten Fähigkeiten für die theologische Arbeit gegangen: Sie waren mir lächerlich ungenügend vorgekommen. Das hatte aber bei Jesus keine Rolle gespielt. Entscheidend war nur, dass seine Jünger das Wenige, das sie hatten, zur Verfügung stellten; – dass sie nicht, wie der ärmste der drei Diener, ihr eines, kleines Talent vergruben (vgl. Mt 25,25). Wäre das geschehen, dann hätte es keine Brotvermehrung gegeben. Jesus hatte ja ausdrücklich verlangt: „Gebt ihr ihnen zu essen.“


Wer weniger hat, kriegt noch mehr: Die paradoxe Logik der Brotvermehrungen

Unsere Armut ist kein Problem für Jesus. Im Gegenteil. Mit Vorliebe wählte er Menschen aus, die nach den Maßstäben dieser Welt armselig und Versager waren.

„Seht doch auf eure Berufung, Brüder! Da sind nicht viele Weise im irdischen Sinn, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme, sondern das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen. Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten, damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott.“ (1Kor 1,27-29)

Und so ist es auch bei den Brotvermehrungen. Matthäus und Markus erzählen von zwei Brotwundern. Das erste Mal reichen fünf Brote und zwei Fische zur Speisung von fünftausend Menschen, und es bleiben zwölf Körbe übrig. Das zweite Mal steht etwas mehr zur Verfügung: sieben Brote und einige Fische. Und es sind etwas weniger Menschen zum Essen da: dreitausend statt vorher fünftausend. Wie viel bleibt also übrig? Weniger! Das erste Mal waren es zwölf Körbe, nun sind es „nur“ sieben Körbe. Deshalb ist das Wunder keineswegs kleiner. Beide Male gibt es auf wunderbare Weise für alle genug. Aber bei Wundern kann man nicht rechnen. Oder doch? Wie viel wäre wohl übrig geblieben, wenn die Jünger fünfhundert Brote und zweihundert Fische zur Verfügung gehabt hätten? Wahrscheinlich nichts, und es hätte auch nicht für alle gereicht. Warum nicht? Weil die Jünger, ausgestattet mit fünfhundert Broten und zweihundert Fischen vermutlich gar nicht zu Jesus gegangen wären, sondern ihre Mittel auf eigene Faust verteilt hätten. Das ist ein Problem unserer reichen, professionalisierten Kirchen. „Wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt“, ist ein einfaches Prinzip, das nur dann dem Evangelium entspricht, wenn wir das, was wir haben, zuerst Jesus zur Verfügung stellen. Nur wenn Er das Unsrige segnet und wandelt, werden alle satt.

 

Das Zusammenspiel von göttlichem und menschlichem Wirken macht Wunder möglich

Auch als Christen vergessen wir allzu leicht, dass wir gerufen sind, unsere Mittel zuerst zu Jesus zu bringen. Wenn wir in Not sind und erfahren, dass unsere Mittel nicht reichen, besteht zumindest die Chance, dass wir uns an das Prinzip biblischen Gebens erinnern.

„Sie sagten zu ihm: Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische bei uns. Darauf antwortete er: Bringt sie her!“ (Mt 14,17-18)

Und Jesus nahm das wenige, das sie hatten und ihm gebracht hatten. Er „blickte zum Himmel auf, sprach den Lobpreis, brach die Brote und gab sie den Jüngern; die Jünger aber gaben sie den Leuten, und alle aßen und wurden satt.“ Beachten wir das subtile Zusammenwirken von göttlichem und menschlichem Tun: Es begann damit, dass Jesus sein Mitleid mit den Menschen auf seine Jünger überfließen lassen wollte:

„Als er ausstieg und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen und heilte die Kranken, die bei ihnen waren. Als es Abend wurde, kamen die Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist abgelegen, und es ist schon spät geworden. Schick doch die Menschen weg, damit sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen können. Jesus antwortete: Sie brauchen nicht wegzugehen. Gebt ihr ihnen zu essen!“ (Mt 14,14-16)

Die Jünger gehorchen der Aufforderung Jesu. Und in dieser Nachfolge werden sie mit dem Ungenügen ihrer Mittel konfrontiert. Jesus fordert sie auf, das Wenige, das sie haben, ihm zu geben. Er, der Mittler zwischen Gott und Mensch in Person, stellt die Verbindung zum himmlischen Vater her: Er blickt zum Himmel, er spricht den Lobpreis und bricht das Brot. Und das solcherart „verwandelte“ Brot gibt er wem? Nein, nicht den bedürftigen Menschen (wie in der verkürzten Version der Erzählung bei Joh 6,11), sondern den Jüngern. Sie werden von Jesus ermächtigt, den Menschen zu essen zu geben und so das Wunder auszuführen. Das wird uns in dieser Erzählung und in zahllosen anderen biblischen Texten beigebracht: Wie wir mit Gottes Kraft in die Nachfolge Jesu treten können. Beides gehört dazu, und ohne beidem kommt es nicht zustande: Gott wirkt es nicht ohne uns, und wir können es nicht ohne Gott wirken.

 

Glauben und das Risiko, sich zu blamieren

Was dazu nötig ist, ist ein Akt eines geradezu blinden Glaubens. Den Menschen, die sich auf Jesu Aufforderung „in Gruppen ins grüne Gras“ gesetzt hatten, sollen sie das offensichtlich viel zu Wenige zum Essen austeilen. Die Leute sind hungrig und ihre Erwartung ist geweckt, dass sie etwas bekommen, das sie satt macht. Wer mit fünf Broten und zwei Fischen anfängt, fünftausend vor Erwartung offene Mäuler zu stopfen, der blamiert sich bis auf die Knochen. Auch wenn es letztlich Jesus wäre, der die Menschen total enttäuschen würde, – die Jünger hätten sich als seine Handlanger geoutet. Nicht anders ist es, wenn wir heute in die Nachfolge Jesu gehen und anfangen, in radikalem Gehorsam Seinem Auftrag zu folgen. Die Jünger gehorchten kompromisslos. Diese Stelle ist eines der Highlights ihres großen Glaubens.

Wie wir wissen, gibt es ja auch weniger glorreiche Momente, zum Beispiel nach der zweiten Brotvermehrung, wo sie – mit Jesus im Boot – keine andere Sorge hatten, als dass sie nicht genug zum Essen mitgenommen hatten:

„Sie aber machten sich Gedanken und sagten zueinander: Wir haben kein Brot mitgenommen. 8 Als Jesus das merkte, sagte er: Ihr Kleingläubigen, was macht ihr euch darüber Gedanken, dass ihr kein Brot habt? 9 Begreift ihr immer noch nicht? Erinnert ihr euch nicht an die fünf Brote für die Fünftausend und daran, wie viele Körbe voll ihr wieder eingesammelt habt? 10 Auch nicht an die sieben Brote für die Viertausend, und wie viele Körbe voll ihr da eingesammelt habt?“ (Mt 16,7-10)

Das war eine Situation, wo Jesus die Jünger mit ihrem Kleinglauben konfrontierte, um sie darüber hinaus zu führen. Aber die Brotvermehrungen selber waren Sternstunden. Hier waren sie mit ihrem Tun ganz am Puls ihres Herrn.

 

Brotvermehrung heute – jenseits unserer Grenzen

Diese biblischen Texte haben symbolische Bedeutung, weil es in ihnen nicht nur darum geht, wie man hungrige Menschen satt macht, sondern wie man sich in allemin Gottes Kraft bewegt. Dass diese Texte nicht nur symbolisch sind, haben immer wieder Menschen erfahren. Welche Menschen? Menschen, die wie die Jünger kompromisslos in Jesu Nachfolge gegangen sind. Menschen, die auf diesem Weg der Nachfolge in Situationen äußerster Überforderung gekommen sind. Und Menschen, die sich in Situationen von solch äußerster Überforderung ganz Jesus anvertraut haben. Ein Beispiel dafür ist die Pastorin Heidi Baker, die mit ihrem Einsatz vor allem für Kriegswaisen in Mosambik als eine freikirchliche Mutter Teresa durchgehen könnte. Einmal stellte ihr die sozialistische Regierung ein Ultimatum, sie müsse das staatlich zur Verfügung gestellte und von ihnen liebevoll renovierte Waisenheim verlassen, wenn sie mit ihren Kindern nicht auf alle „ideologische“ Tätigkeit wie Beten und Lobpreis verzichten würden. Dieser Verzicht aber war für sie ebenso wie für die Kinder unvorstellbar. So kam es, dass sie vertrieben wurden und mit hundert Kindern in ihr kleines Bürohaus in der Hauptstadt ziehen mussten. Zum Essen war buchstäblich nichts vorhanden, als eine befreundete Frau von der Botschaft für sie und ihre Familie nicht fünf Brote und zwei Fische, aber einen kleinen Topf Chili mitbrachte. Lesen wir, was Heidi Baker dazu schreibt:

»Wir wurden von unseren am meisten bedürftigen Kindern überschwemmt, den jüngsten Straßenwaisen, die absolut keine Verwandten oder Freunde hatten, zu denen sie gehen konnten. Sie waren barfuß fünfzehn Meilen in die Stadt gelaufen, und strömten nun in unsere Wohnung. Sie erzählten uns, dass sie mit großen Stöcken geschlagen wurden, weil sie gesungen hatten, aber sie wollten nur dorthin gehen, wo auch wir hingehen, weil sie den Herrn anbeten wollten. Als ich ihnen sagte, dass wir keinen Platz für sie hätten, meinten sie einfach nur: „Aber Mama, du hast gesagt, dass es immer genug geben würde!“
Was konnte ich darauf schon sagen? Ungefähr hundert Kinder scharten sich zu uns. Wir stapelten Etagenbetten in unsere verfallene kleine Garage, die voller Motorschmiere und Spinnweben war. Überall in unserer Einfahrt und im Hof verteilt standen ausgeliehene Feldbetten herum. Urin lief den Korridor herunter. Wir spritzten die Kinder mit dem Schlauch ab, um sie halbwegs zu waschen. Überall an unsere Türen und Fenster drückten sich Kindergesichter!
Wir wussten nicht, wie wir klar kommen sollten. Es gab nicht annähernd so viel Essen, Kochutensilien oder sanitäre Anlagen, wie wir brauchten. Überall standen aufgetürmte Kisten, Kleidung und Koffer herum. Alle waren mit ihrer Kraft völlig am Ende, es herrschte komplettes Chaos. Und es tauchten immer noch mehr Kinder an unserem Tor auf. Die Kräfte verließen uns, wir weinten, als wir zuschauen mussten, wie das Meer von Gesichtern anschwoll. Ich fragte mich ernsthaft, selbst nach Toronto: „Kümmerte es Gott wirklich? Wie war er denn überhaupt?“ Ich hätte nie geglaubt, dass er uns in so eine Situation kommen lassen würde.
„Unsere Tochter Crystalyn fing vor Hunger an zu weinen. Ich drehte fast durch. Wir hatten keine großen Töpfe zum Kochen und waren auch sonst in keinster Weise darauf vorbereitet, all diese Kinder zu ernähren. Eine wunderbare Frau von der US-Botschaft kam mit Essen zu uns. „Ich habe dir Reis und etwas Chili für deine Familie mitgebracht!“, sagte sie freundlich – gerade genug für uns vier. Seit Tagen hatten wir nichts mehr gegessen. Ich öffnete eine Tür und zeigte ihr alle unsere Kinder. „Ich habe eine große Familie!“, erwiderte ich müde, doch in vollem, dringendem Ernst. Meine Freundin wurde ernst. „Es ist nicht genug! Ich muss nach Hause und noch mehr kochen!“ Doch ich bat sie, einfach nur über dem Essen zu beten. Nun war sie bestürzt. „Nein, nicht!“, bat sie, doch dann betete sie hastig. Ich holte die Plastikteller hervor, die wir für die Straßeneinsätze benutzten, dazu einen kleinen Topf mit Maismehl, den ich noch hatte. Wir fingen an, das Essen auszuteilen, und gleich von Beginn an gab ich jedem eine volle Schüssel. Ich war wie betäubt und überwältigt und verstand damals kaum, was für eine wunderbare Sache hier vor sich ging. Doch alle unsere Kinder aßen, die Mitarbeiter aßen, meine Freundin aß, sogar meine vierköpfige Familie aß. Jeder hatte genug.
Seit damals haben wir niemals wieder zu einem verwaisten, ausgestoßenen oder sterbenden Kind „nein“ gesagt. Heute ernähren wir mehr als eintausend Kinder und kümmern uns um sie. Sie essen und trinken, soviel sie wollen –von der Güte des Herrn. Weil er starb, gibt es immer genug.« (Heidi und Rolland Baker, Es gibt immer genug, 64-67.)

Mit Gottes Kraft wirken: in Schwäche und Furcht, doch verbunden mit dem Erweis von Geist und Kraft

Wunder kommen dort häufiger vor, wo Menschen sich von Gott über die Grenzen ihrer Möglichkeiten hinausführen lassen. Wie Petrus, als er das Boot verließ, um Jesus über das Wasser entgegenzugehen (Mt 14,28). Die Erfahrung, die er dort machte, inklusive der Bedrohung unterzugehen, wäre ihm im sicheren Boot versperrt geblieben. Oder wie Paulus, der sich in Korinth entschlossen hatte, „nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten“ (1 Kor 2,2). Das führte dazu, dass der hervorragend gebildete Theologe, der zuletzt in Athen ein Bravourstück von Rhetorik geliefert hatte (Apg 17,22-32), strotzend vor eigener Kraft und Kompetenz, aber ohne pastoralen Erfolg, nun „in Schwäche und in Furcht, zitternd und bebend“ (1 Kor 2,3) vor die Korinther trat. Denn die Kraft, auf die er nun setzte, war Gottes Kraft, und die ist so wenig verfügbar wie Trittfestigkeit für Petrus, als er seinem Herrn auf dem Wasser Herrn entgegenging. Doch Paulus wusste, dass Gottes Kraft ihn weit über seine eigenen Möglichkeiten hinaus führen würde: Gerade weil er voller Schwäche und Furcht, zitternd und bebend auf Gottes unverfügbare Kraft vertraute, war seine „Botschaft und Verkündigung ... nicht Überredung durch gewandte und kluge Worte, sondern ... mit dem Erweis von Geist und Kraft verbunden“ (1 Kor 2,4).

Die vergangenen Jahren haben einige von uns in der Weide öfters an die Grenzen unserer eigenen Fähigkeiten geführt: etwa im Gebet für Suchtkranke, Depressive oder von Burnout betroffene Menschen. Das begann unser Gebet zu verändern: Aus ganzem Herzen rufen wir nun zu Gott, dass wir ihn brauchen und ohne ihn verloren sind. Und wir wissen, dass es so ist. Im Angesicht eines Menschen, dem professionelle Ärzte und Therapeuten nicht helfen konnten, gleicht alles, was wir anbieten können, den fünf Broten und zwei Fischen. Und so wenden wir uns nicht direkt den Kranken zu, sondern Jesus und bieten Ihm alles an, worüber wir verfügen. „Was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5) – Diesen Rat Marias versuchen wir immer konsequenter und radikaler zu umzusetzen. Wie bei Paulus ist das ein Weg „in Schwäche und in Furcht, zitternd und bebend“ (1 Kor 2,3). Das war bei den Jüngern vor der Brotvermehrung so – „Wo sollen wir in dieser unbewohnten Gegend so viel Brot hernehmen, um so viele Menschen satt zu machen?“ (Mt 15,33) –, bei Petrus auf dem Wasser, bei Paulus in Korinth, bei Heidi Baker in Maputo, und eben auch bei uns, wenn wir für einen psychisch schwer kranken Menschen beten. Wir bieten Jesus alles an, was wir haben, und das sind zunächst wir selber. Und so nimmt Jesus wie das Brot auch uns, blickt zum Himmel auf, spricht den Lobpreis, bricht uns und gibt uns uns selbst zurück. So aber können wir uns unseren Nächsten weiterschenken, „und alle essen und werden satt“ (vgl. Mt 14,20).

 

Danke, Jesus, dass du mich gebrochen hast

Diese Einsicht war es, die mich nach meiner zweimonatigen Krise zutiefst erschütterte und mit Dankbarkeit erfüllte: Jesus hat mich gebrochen und mich neu, besser zusammengesetzt. Auf diese Weise hat er meine drängenden Gebete erhört und mich einem Leben und Wirken in Seiner Kraft einen entscheidenden Schritt näher gebracht.

Dass Jesus uns bricht, ist ein tiefes Geheimnis, das immer wieder in schlimmer Weise verkannt wurde. Nicht Gott ist es, der uns zerbricht, sondern Jesus, der am Kreuz das Zerbrechen, das ihm zugefügt wurde, in ein Zerbrechen für die Vielen, in einer liebenden Selbsthingabe an den göttlichen Vater, verwandelt hat, – dieser Jesus nimmt unser Zerbrechen, das nicht er uns zufügt, und verwandelt es in etwas Heilvolles. Auch dieser Bezug zum Kreuz leuchtet in den biblischen Erzählungen von der Brotvermehrung auf. Woran denken wir zuerst, wenn wir den Satz lesen:

„Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf, sprach den Lobpreis, brach die Brote und gab sie den Jüngern“ (Mt 14,18)?

Es sind seine eucharistischen Wandlungsworte beim letzten Abendmahl:

„Während des Mahls nahm Jesus das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es den Jüngern und sagte: Nehmt und esst; das ist mein Leib.“ (Mt 26,26)

Das gebrochene Brot steht zuerst für den am Kreuz gebrochenen Leib Christi. Wer hat Jesus am Kreuz gewaltsam zerbrochen? Das war nicht Jesus selbst und auch nicht sein göttlicher Vater, sondern es waren in Sünde verblendete Menschen. Jesus aber hat diese über ihn hereinbrechende Gewalttat nicht einfach nur passiv ertragen, sondern er hat sie verwandelt in eine Tat der liebenden Selbsthingabe für die Menschen. Diese Selbsthingabe wurde möglich, weil er sich zuerst und vor allem dem himmlischen Vater anvertraut hat, indem er zum Himmel aufblickte und den Lobpreis sprach. Durch diese Selbsthingabe an den göttlichen Vater wurden das Brot das er war und das gewalttätige Brechen, das er erfuhr verwandelt. Und nur so wurde er zu einer Speise, die Vielen – mit ihren unersättlichen Bedürfnissen und Ängsten – satt macht. Von daher wird es möglich, dass das Zerbrechen das wir erfahren – durch eigene Schuld und durch die Schuld anderer – von Jesus zu einem heilvollen Zerbrechen transformieren lassen, das wir nun, als heilvolles, dankbar Ihm zuschreiben können.

Wie das Zerbrechen, das wir erleiden, in etwas Heilvolles verwandelt werden kann, gehört zu den tiefsten und auch missverständlichen Geheimnissen des christlichen Erlösungsglaubens. In einem späteren Newsletter werde ich ausführlicher darauf eingehen.

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